Verfasst von: faucone | 28. 4. 2011

L’oiseau

Wasser rinnt die Steine hinab. Langsam, aber unaufhaltsam. Tropfen für Tropfen, fast das ganze Jahr über, nur an einigen besonders heißen, trockenen Hochsommertagen ist es bis jetzt versiegt. Tage, deren Wärme hier nie spürbar wird. Am Boden sammelt es sich in einer Pfütze und auch diese ist manchmal größer, manchmal kleiner, selten jedoch ganz verschwunden. Das fahle Licht des sehr frühen Morgens spiegelt sich in dem Rinnsal an der Wand, ein kaum auszumachendes Schimmern, welches dennoch ausreicht auch das Moos und die kalten, grauschwarzen Steine zu erkennen, die die Wände, die Decke und den Fußboden aufbauen. Dieser ist glatter, ausgetretener als die rauen Wände, aber ebenfalls nicht eben. Der Raum ist rechteckig, drei ein halb mal fünf Schritte groß und hat eine alte, schwere, stets verschlossene Holztür deren Eisenhalterungen den Rost der Jahre tragen. Das an Kraft gewinnende Licht dringt durch eine hoch gelegene Öffnung an der Schmalseite gegenüber der Tür, die Gitterstäbe werfen immer deutlicher erkennbare, lange Schatten auf den Boden. In einer Ecke liegt ein wenig Stroh, kaum zwei Arme voll, und darauf ein Mann. Er schläft. Sein Atem geht ruhig, erkennbar an den sich gleichmäßig heben- und senkenden Stofffetzen, die er am Leib trägt. Seine Haare sind weiß, aber nicht erhaben weiß, wie die eines stolzen Alten, sondern grauweiß, dreckig und verfilzt. Auch das Gesicht ist schmutzig und tief gefurcht, und vom Kinn zum linken Ohr zieht sich die alte Narbe einer einst wohl tiefen Wunde, welche den Eindruck macht, sie würde noch immer jucken und ihrem Träger von Zeit zu Zeit einige Pein verursachen. Sie ist das momentan auffälligste Merkmal diese Gesichtes, die Nase ist eher gewöhnlich, und auch am Mund ist nichts Besonderes zu finden, bis auf die erkennbare Tatsache dass dieser seit Jahren nicht mehr gelächelt hat. Hätte der Mann allerdings die Augen geöffnet, so würde der Blick des Betrachters wohl schwanken. Denn diese sind von einem stählernen Eisgrau, und betrachten, egal wie müde der Besitzer auch sein mag, wach und scharf die Umgebung. Man könnte sich fast ein wenig vor ihrem Blick fürchten, wäre da nicht dieser ganz sanft vorhandene Unterton einer Mischung aus Güte, Weisheit und einer gewissen Heiterkeit, der von Zeit zu Zeit für meist nicht mehr, als einen Augenblick in ihnen aufblitzt, ganz so, als wollte sich dann ein Teil der eigentlichen Natur des Mannes ebenfalls in ihnen zeigen. Der Raum ist ansonsten fast kahl, nur in der Mitte findet sich noch etwas der Betrachtung wert erscheinendes, was von weitem wie ein einfacher Holzklotz wirkt. Sieht man näher hin, erkennt man feine, eingeritzte Linien, die ein Raster bilden, welches nicht ganz bis zum Rand reicht, sondern ebenfalls ein zu den Raumkanten paralleles Rechteck bildet, und so einen eigenen Raum im umgebenden Raum eingrenzt. Neben dem Klotz finden sich zwei runde, ebenfalls hölzerne Schalen, deren Deckel abgenommen sind und bei ihnen liegen. In den Schalen, in den Deckeln und neben und auf dem Holzklotz befinden sich Steine die nur scheinbar achtlos herumliegen, auf den Linien des Feldes aber offenbar bedeutsame, überlegte und sinnvolle Muster ergeben. Erkennbar ist, dass sie zu gleichen Teilen schwarz und weiß sind, und auch auf dem Klotz kein Übergewicht einer Seite auszumachen ist.

Plötzlich durchzieht ein flatterndes Geräusch die sonst nur durch den unaufhörlich wehenden Wind durchbrochene Stille. Es klingt in dem leeren Raum lauter, rauer und unmittelbarer als es das vermutlich an einem anderen Ort täte, und bewirkt, dass der schlafende Mann aufschreckt und seine trotz der erkennbaren Müdigkeit bemerkenswert klaren Augen den Raum durchwandern, wobei sie jedes Staubkorn zu durchdringen scheinen. Schnell haben sie den Verursacher des Geräusches gefunden. Ein Vogel hat sich durch die Gitterstäbe verirrt und flattert nun ziellos durch den für seine gewohnte Freiheit zu begrenzten Raum. Seine hastigen Flügelschläge wirbeln den Staub der langen Jahre auf, und streifen gelegentlich die Wände, seine Aufregung würde in dieser sonst so stillen Umgebung für Jahre ausreichen. Die Bahn seines Fluges zeichnet verworrene, imaginäre Figuren in die Luft, doch allmählich verlieren seine Bewegungen an Kraft. Das Flattern ist nicht mehr stetig, sondern unterbrochen durch immer länger werdende Pausen, denen verzweifelte Versuche folgen, seine letzte, im schwinden begriffene Kraft zu mobilisieren. Schließlich versiegt auch diese und seine Landung ist mehr ein zu Boden stürzen, welches genau in der Mitte des Raumes vom Holzklotz beendet wird. Er bleibt liegen.

Der Mann, der bis dahin reglos dagesessen hat, erhebt sich nun, langsam und etwas steif, wie einer, der ein und die selbe Bewegung schon ermüdend oft ausgeführt hat und dessen Zeit nicht begrenzt ist, sie jetzt in einer anderen Art und Weise auszuführen. Dennoch geht von seinem Körper eine unbestimmbare Kraft aus, die in seiner Umgebung spürbar wird, und die auch die schäbige Bekleidung nicht zu ersticken vermag. Vorsichtig geht er in Richtung der Mitte des Raumes, und ja näher diese kommt, desto langsamer bewegt er sich auf sie zu. Seine Lippen formen murmelnde Worte, doch bringt er keinen Laut hervor. Schließlich bleibt er stehen. Seine Augen fixieren das Federnbündel vor ihm auf dem Klotz, welches beim Aufkommen einen großen Teil der Steine verrückt, oder hinabgeworfen hat. Auch das haben die scharfen Augen bemerkt, und die Mundbewegungen werden härter und ärgerlicher, die Augen schärfer und kälter. Auf ihnen liegt nun ein Schatten, der mild freundliche Unterton hat seine regelmäßige Position im Gesicht des Mannes verlassen. Mit einer ruckartigen Bewegung nähert er sich dem Klotz vollständig, und beginnt die verstreuten Steine einzusammeln ohne den Vogel dabei anzublicken. Nachdem er alle am Boden liegenden aufgelesen hat, wendet er sich den oberen zu, auch hier angestrengt versuchend einen Blickkontakt zu vermeiden. Gerade als alle weißen vom Block verschwunden sind passiert es dennoch: er sieht auf die sich noch immer nicht rührende Silhouette des Tieres. Er stockt, bemerkt, dass sich seine Lippen bis jetzt bewegt haben, und stellt auch diese Bewegung ein. Seine unsteten Augen kommen auf dem Vogel zur Ruhe. Sie beginnen langsam seinen Körper abzutasten, weder freundlich noch böse, eine stete Bewegung die jedes Detail in sich aufnimmt. Sie beachtet die Federnfarbe ebenso wie die Form der Flügelspitzen, die scharfen Krallen ebenso wie die sanfte Wölbung des Brustbeines. Bei den Augen schließlich bleibt sie stehen. Lange Zeit versinken die eisgrauen des Mannes in den bersteinfarbenen des Vogels, als versuchten sie darin verborgene Geheimnisse zu finden, aber auch, als entdeckten sie darin eigene, lange verschwunden geglaubte Wahrheiten wieder. Das gelegentliche Aufblitzen kehrt wieder, gewinnt am Ende sogar zeitweilig die Oberhand, und verleiht dem Gesicht ein Strahlen welches sogar die harten, tief gefurchten Gesichtszüge erfasst, und diese glättet. Diesmal beginnen die Mundbewegungen ganz bewusst und begleitet von dem Versuch tatsächlich Laute zu produzieren, der im ersten Anlauf jedoch misslingt. Der Mann räuspert sich, und ein erneuter Versuch folgt. Jetzt gelingt es, es ist kein Wort, geschweige denn ein Satz, und dennoch: aus dem Mund des Mannes erklingt ein menschlicher Laut. Er wirkt wie eine Befreiung. Wieder erzeugt dieser einen Hall, und im gleichen Augenblick geht ein Zittern durch den bis dahin reglosen Vogelkörper. Ein Laut der Überraschung folgt. Ganz langsam und vorsichtig streckt sich eine Hand nach ihm aus. Wenige Millimeter bevor eine Berührung erfolgen muss stockt sie kurz, bevor sie auch diese Distanz überbrückt, und sanft über die Federn streift. Erneut ein Zittern, diesmal kräftiger, aber auch wiederwilliger und ängstlicher. Die Hand zieht sich zurück und bleibt ein Stück weit entfernt auf dem Klotz liegen, unschlüssig, ob sie das ganz tun soll, oder nicht. Schließlich unternimmt sie einen erneuten Versuch der Annäherung. Sobald die Berührung erfolgt, geht ein Ruck durch den Vogel, und ein Flügelschlag folgt der ihn aufrichtet. Schwach sitzt er am Rand des Klotzes, schwankend und doch darauf bedacht, eine möglichst große Distanz zwischen sich und die ruhende Hand zu bringen, welche die verschleierten Augen misstrauisch beäugen. Die Hand zieht sich wieder vorsichtig zurück. Auf dem Gesicht des Mannes bildet sich ein Stirnrunzeln, der eben noch mild durchscheinende Blick wird wieder klar. Ein letzter Versuch, die Hand nach dem Vogel auszustrecken führt dazu, dass dieser vom Klotz hüpft und sich flatternd in eine Ecke zurückzieht. Der Mann sammelt die restlichen schwarzen Steine ein, hält aber dabei von Zeit zu Zeit inne, und sieht sich nach dem Vogel um. Er setzt sich vor den Klotz, an die Seite, von der aus er die Ecke gut im Blick hat, und beginnt mit den Steinen ein bestimmtes Muster auf den Linien zu legen. Das Muster scheint ihm sehr bekannt zu sein, er muss kaum auf die Bewegungen seiner filigranen Hände achten, die wie in Trance über den Klotz zu schweben scheinen, und genau auf den Kreuzen der Linien Steine platzieren. Sein Blick huscht immer öfter in die Ecke, mal nachdenklich, dann wieder sicher, mild oder ärgerlich, ganz so, als hinge die Stimmung mit den Geschehnissen auf dem Block vor ihm zusammen. Als sich der Vogel leicht bewegt, zuckt auch der Mann zusammen, seine Hände geraten ins Stocken, und ein weißer Stein rutscht unbeabsichtigt durch seine Finger. Er landet genau auf einem Linienkreuz zwischen zwei schwarzen Steinen. Der Blick des Mannes beschreibt einen Bogen vom Vogel auf das Brett und wieder zurück. Schließlich blickt er erneut vor sich, legt die restlichen Steine in seinen Händen beiseite, und streckt die Hand nach dem weißen Stein aus. Wenige Millimeter vor der Berührung stockt er. Und zieht die Hand zurück.

Seine Augen sind von dem Geschehen auf dem Block gefesselt. Ewig dauernde Augenblicke sitzt er reglos da, angespannt und konzentriert, versunken, in eine Welt aus schwarzen und weißen Steinen, zu der die Mauern, der Raum, der Vogel und alles um ihn herum nicht gehören, und auch er selber scheint in dieser Welt eine andere Form zu haben, zu der sein Körper nur eine leere Hülle ist. Dann kehrt er zurück, und ein Strahlen entsteht auf seinem Gesicht, welches für einen winzigen Augenblick sogar von einem Lächeln begleitet ist. Sein Körper entspannt sich, und sein Blick wandert in die Ecke, in der der verschreckte Vogel noch immer sitzt. Lange bleiben seine Augen auf ihm ruhen, mit einem Blick der von der sonst so selten aufblitzenden Milde durchdrungen ist. Dann steht er auf, geht vorsichtig, und doch gewandt und zügig auf die Ecke zu. Der Vogel versucht zu fliehen, doch die einzige Richtung, die von dem Mann wegführt bringt ihn weiter in die Ecke, die nun zum Hindernis für ihn wird. Der Mann streckt die Hände aus, und packt den Vogel mit festem Griff. Dieser versucht sich zu befreien, mit den Flügeln zu schlagen, doch vergebens. Der Mann steht auf, und geht zu der der Tür gegenüberliegenden Seite des Raumes. Er streckt seine Arme weit nach oben, so dass er mit den Händen durch die Gitterstäbe langen kann.

Dann lässt er den Vogel los.

Verfasst von: faucone | 28. 4. 2011

Sterben

„Ich wünsche, dass keine lebensverlängernden Maßnahmen durchgeführt werden, wenn ich mich aller Wahrscheinlichkeit nach unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess oder mich im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit befinde.“

Sie haben diese Patientenverfügung bei vollem Bewusstsein mit bestem Wissen und Gewissen persönlich ausgefüllt, und sind immer noch der Ansicht, das dies der richtige Weg ist?
Ein stummes Nicken. Wann würde das endlich aufhören? Immer wieder Formulare, immer wieder die selben Fragen, nur die Leute änderten sich von Zeit zu Zeit. Dabei wollte er doch so etwas einfaches: sterben. Sanft streicht die Hand seiner Schwester über seine eigene. Sie beruhigte ihn immer. Sie konnte ihn verstehen. Sie hatte die unendliche Geduld, all das mit ihm durchzustehen. Immer im Bewusstsein, dass er am Ende des Weges nicht mehr da wäre. Gegangen. Weg. Und sie würde hier zurückbleiben, in dieser grausamen, höhnischen Welt. Vielleicht käme sie einst selber in diese Situation. Wer würde ihr dann helfen? Der Gedanke macht ihn traurig. Sie bemerkt es sofort, dreht den Kopf zu ihm um. Ein verlegener Blick, ein winziges Kopfschütteln und sie wendet ihre Aufmerksamkeit wieder dem Mann zu. Vorher hatte sie ihm erklärt, dass das heutige Gespräch wichtg werden würde. Eine Entscheidung bringen. Er hatte sich gefreut, alles war besser als diese endlose Ungewissheit, die er schon viel zu oft erfahren hatte, doch nun war es ihm fast gleich. Er bekam nichts von dem mit, was der Mann sagte. Durch die starken Medikamente bekam er so und so wenig mit, was ihn oft so wütend und so hilflos zugleich machte. Ihr konnte er dennoch fast immer seine Aufmerksamkeit schenken. Diesem nichtssagendem Mann dagegen schuldete er ein so hohes Gut nicht. Er war nicht wichtig. Sicher, er sollte die Entscheidung fällen, aber wer war er schon? Einer, der zufällig gelernt hatte, Paragraphen auswendig zu wissen. Der aalglatt im Anzug durch die Gegend laufen konnte und an diesem Ort noch viel deplatzierter wirkte, als irgend sonst. Der mit Papieren Leute überzeugen, einschüchtern, verunsichern, für sich einnehmen konnte. Und sonst? Nichts. Einer von den vielen grauen Typen. Dennoch bekam er nun ungewollt einige seiner Worte mit. Von abwesend, umnebelt sprach er. Nichteinmal die passenden Worte wollten ihm hier einfallen. Eine traurige Existenz. Er bewunderte seine Schwester, wie sie ihm ruhig etwas von den starken Medikamente erzählen konnte. Früher hätte er das vielleicht sogar selber gekonnt. Nein, das war nicht mehr seine Welt. Längst nicht mehr. Und es wurde Zeit, dass er sie auch formal und offiziell verlassen durfte. Eine Welt, in der fast alles möglich war. Nur gehen, das wurde einem schwer gemacht. Und das nannte sich sozial. Egal, er hatte sich schon zu oft darüber gewundert, es war nicht mehr wichtig, nicht mehr sein Problem. Er bekam gerade noch zufällig die letzte Frage des Mannes mit: Haben sie noch einen letzten Wunsch? Er stellte sie schon gar nicht mehr ihm, nachdem er wohl vorher auf mehrere keine Antwort bekommen hatte. Er wusste es nicht. Seine Schwester blickte ihn an, dann zur Tür, sagte etwas belangloses, und der Mann verschwand. Es waren wohl beide froh, dieser Situation entkommen zu sein. Er drehte den Kopf zu seiner Schwester. Sie lächelte ihn an. Wir haben es geschafft. Sagte sie. Einfach so, wie immer, ganz natürlich. Er wusste, wie schwer ihr das fiel. Sie konnte sich nicht für ihn freuen und auch er empfand keine wirkliche Freude, eher Erleichterung. Sie verlassen zu müssen war das Schlimmste. Das Allerschlimmste. Dennoch. Er hatte sich entschieden und sie ebenfalls. Er wollte gehen, sie bleiben und ihn verabschieden. Er änderte seine Meinung nicht gern. Es stand fest, nichts worüber man sich noch allzu viele Gedanken machen musste. Sie sprach wieder und er versuchte ihr zuzuhören, auch wenn das nicht einfach war nachdem schon der unwürdige Mann einige seiner begrenzten Kräfte in Anspruch genommmen hatte. Sie schien dies zu bemerken, fing mit unwichtigen Belanglosigkeiten an, bis er wieder mehr bei der Sache war. Dann schlug sie einen Ton an, der ihn aufhorchen lies. Anders als sonst, eine Mischung aus Rebellion, Schuld, Furcht, Verschmitztheit und etwas, das ihn an lange vergangene Jugendtage erinnerte, was er aber im Moment noch nicht klar einordnen konnte. Sie sagte: Ich habe noch ein letztes Geschenk an dich. Ich konnte dir schlecht Blumen besorgen (ein Lächeln huscht über sein Gesicht, das war es, was er so an ihr mochte), deswegen habe ich dir das hier mitebracht. Sie hielt eine kleine, blaue Tablette vor sein Gesicht. Er schaute direkt zu ihr auf. Hätte er noch sprechen können, hätte er etwas irritiert und leicht empört gesagt, dass dies aber ein sehr kleines Geschenk zum Abschied wäre und dass er im Moment noch dazu nicht besonders gut auf Tabletten zu sprechen wäre. Aber er konnte nicht sprechen. Er versuchte es, doch er scheiterte kläglich. Er sah sie wieder an. Und sie las genau diesen Satz in seinen Augen. Er war beruhigt. Sie sagte: Keine Angst, das hier ist etwas völlig anderes. Du kannst es jetzt nehmen oder später, es hat keine Nebenwirkungen mit dem Morphium, die anderen Medikamente wirken nicht mehr. Sie sah seinen immer noch fragenden Blick. Es bringt dich leichter dorthin wo du sein möchtest. Er lächelte sie an.

Verfasst von: faucone | 27. 4. 2011

Leben mit einem Notitzbuch und einer Zahnbürste

Diese Überschrift war es gewesen, die ihn neugierig gemacht hatte. Er hatte den Link angeklickt und sich auf der Seite eines Alternativurlaubsanbieters wieder gefunden.

Guten Tag! Sind Sie Herr Mayer?
Ja?
Freut mich, ich bin Frau Stöckel, die Organisatorin dieses Programmes. Von mir erhalten Sie die ersten einführenden Informationen. Wie ich sehe, scheinen Sie sich ja an die Vorgaben gehalten zu haben. Das freut mich!
Was wäre, wenn das anders gewesen wäre?
Ein wenig hatte er ja schon überlegt, ob die Vorgaben nicht etwas zu strikt waren und er sie heimlich doch nicht so streng sehen sollte. Aber er hatte sich dagegen entschieden und war bereits ein wenig stolz auf seine Entscheidung.
Nichts. Wie kontrollieren unsere Kunden nicht, denn im Grunde ist es ihre Sache. Wir können nur sagen, dass die zufriedensten Kunden die waren, die sich an die Vorgaben gehalten haben. Wir wissen, dass das nicht einfach ist, aber wer es nicht versucht, hat schon am Anfang verloren. Und sie hätten unser Programm nicht gebucht, wenn sie nicht bereit wären, es zu versuchen, richtig?
Stimmt.
Sehen sie. Haben Sie sonst noch Fragen an mich?
Nicht direkt, aber Sie sagten, sie hätten einführende Informationen für mich?
Stimmt. Aber vielleicht werden Sie auch darüber enttäuscht oder gar entrüstet sein. Ein verschmitztes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ich werde ihnen nämlich nur drei Dinge geben: einen Busfahrschein, Schlüssel und eine Adresse. Und nun verabschiede ich mich auch schon von Ihnen. Viel Glück und viel Erfolg!
Und weg war sie.

Er sah sich die drei Objekte genauer an. Die Adresse war, soweit er das beurteilen konnte, unvollständig, da sie nur einen Weg und eine Hausnummer, aber keine Stadt oder Postleitzahl enthielt. Die Schlüssel waren groß und abgenutzt, scheinbar gehörten sie zu einem alten Haus. Es waren zwei, einer wohl für die Eingangstür, aber wofür der andere war konnte er sich noch nicht denken. Es würde sich herausstellen. Das Busticket war noch den ganzen Tag gültig und schien deutlich über die Stadtgrenze hinauszureichen. Es wäre wohl auch zu einfach gewesen, wenn sich die Adresse in dieser Stadt befunden hätte.
Er dachte nach. Es schien, als sollte er die Adresse herausfinden und dann mit dem Bus dorthin fahren. Ob das das Ziel war oder nur eine Etappe wusste er nicht, aber auch das würde sich finden. Da er die Stadt nicht kannte, fragte er den nächsten Passanten nach einer Telefonzelle oder einer Post. Beim ersten hatte er kein Glück, doch der zweite wusste, dass sich eine Post ein ganzes Stück die Straße runter befand. Also machte er sich auf den Weg.

Die Postbeamtin schaute ihn etwas verwirrt an, als er fragte ob sie wisse, zu welcher Stadt die Straße gehörte, die auf dem Zettel stand. Sie meinte, diesen Namen hätte die noch nie gehört, holte aber nach einer kurzen Erklärung ein Telefonbuch hervor und versuchte sie zu finden. Leider erwies sich das als gar nicht so einfach, da sie nicht nach der Straße oder Telefonnummer einer Person oder Firma suchten, sondern nach dem Ort einer Straße. Schließlich erinnerte er sich, dass in den Telefonbüchern manchmal Karten waren mit alphabetisch geordneten Straßennamen der darauf befindlichen Orte. Schließlich fanden sie die Straße, oder besser den Weg, der nicht mehr zu sein schien, als ein besserer Feldweg mit ein paar Hüttchen. Er fragte noch, ob sie wisse wie er dahin käme aber sie verneinte. Also bedankte er sich und machte sich auf die Suche nach einer Bushaltestelle.

Der Herr in der Busauskuft schaute auch erst skeptisch, war dann aber von dem Programm hellauf begeistert und meinte Herr Mayer müsse ihm unbedingt erzählen, wie es ihm gefallen habe. Sie tauschten Emailadressen aus, bevor er ihm die Verbindung heraussuchte. Er würde etwa zwei Stunden unterwegs sein und dann noch ein gutes Stück laufen müssen. Aber er konnte die Linie nehmen die vor der Tür abfuhr. Das gab dem Fahrkartenverkäufer Gelegenheit noch einen ganzen Haufen weitere Fragen zu stellen, welche auch Herr Mayer zu einem großen Teil noch nicht beantworten konnte.

Die Landschaft durch die er kam war hübsch und wurde zunehmend hügeliger. Als er schließlich in dem kleinen Dorf ankam, dämmerte es schon. Er hatte sich in etwa gemerkt wo der Weg sein müsste, doch nun sah vieles doch ein wenig anders aus. Er war an der Kirche ausgestiegen und wusste wieder nicht, in welche Richtung er laufen sollte. Glücklicherweise stand ganz in der Nähe ein älterer Herr den er fragte. Der Herr grummelte zwar ein wenig und hatte einen ausgeprägten Dialekt, doch schließlich verstand er wohin er gehen müsste. Und dass er vorsichtig sein solle, wegen dem „Stia“. Er wusste zwar nicht, was mit einem Stia gemeint war aber vermutlich würde er auch das herausfinden.

Der Weg führte ziemlich steil bergauf, so dass er schon nach kurzer Zeit außer Atem geriet und langsamer gehen musste. Nach einiger Zeit kamen nur noch vereinzelt Häuser, schließlich hörten auch diese ganz auf. Er wunderte sich, da die angegebene Hausnummer noch nicht gekommen war und die Zählung genau eine Nummer darunter aufgehört hatte. Andererseits war scheinbar auch der alte Mann an der Kirche verwundert gewesen, dass er heute noch so weit wollte. Also ging er weiter. Nach einer Weile kam er an ein Gatter an dem ein Schild hing: Achtung, freilaufender Stier. Das also war der Stia gewesen. Nun, immerhin wusste er nun, dass er noch richtig war. Er hoffte, dass der Stier schon schlafen würde.

Endlich sah er sie von weitem. Eine kleine Holzhütte und daneben ein Herzelhäuschen. Hier würde er also die nächsten vier Wochen verbringen. Am Eingang angekommen merkte er, dass der kleine Schlüssel zu Tür gehörte. Der größere Schlüssel gehörte zu einem Kasten in den man anscheinend Post einwerfen konnte. Allerdings bezweifelte er, dass der Briefträger sich die Mühe machen würde hier herauf zu kommen. Er trat ein. Die Hütte hatte nur einen Raum mit einem Tisch, einem kleinen Herd und etwas abgetrennt einem Bett. Es gab keinen Wasserhahn, doch hatte er hinter der Hütte einen Trog gesehen der von einem kleinen Bach gespeist wurde. In der Luft hing ein angenehmer Geruch nach frischer Kartoffelsuppe. Hungrig wie er war aß er zwei ganze Teller der Suppe, die auf dem Herd bereit stand. Dann fiel er müde ins Bett.

Bevor er einschlief, erinnerte sich, was die Vorgaben sagten.
Schreiben sie Dinge auf, wann immer sie Lust dazu haben. Aber schreiben sie in jedem Fall jeden Abend auf, was sie an dem Tag erlebt haben, und was ihre Gedanken waren. Sie entscheiden, wie lang der Bericht wird und ob sie ihn uns zu lesen geben oder nicht. Er wusste nicht, wie er letzteres anstellen sollte aber Erlebnisse und Gedanken hatte er eine Menge. Besonders dachte er über das Programm nach und ob es wirklich so gut war, wie es versprach und wie er in vielen Berichten gelesen hatte. Der Anfang war jedenfalls ein wenig abenteuerlich aber vielversprechend gewesen.

Verfasst von: faucone | 10. 1. 2010

Das Haus

„Sie wünschen?“ Er grinste breit. „Das wissen Sie. Das Beste!“ „Selbstverständlich. Sie sind mit dem Anderen zufrieden?“ „Mehr als zufrieden, danke vielmals.“ „Das Beste… genau genommen gibt es das nur einmal. Sie wissen, dass man eigentlich nur eines besitzen darf?“ „Natürlich.“ Noch ein Grinsen. „Nun ja, es könnte sein, nein, es ist sogar wahrscheinlich, dass ihnen dieses nie gehören wird. Und dass es ihnen dies zeigt.“ „Ich denke, ich werde damit klarkommen.“ „Gut.  Ich würde vorschlagen, sie nehmen eines, was hinsichtlich eines anderen Aspektes das Beste ist. Einverstanden?“ „Ich vertraue da ganz ihrem Urteil.“

Langsam drehte er den Schlüssel, drückte die Klinke herunter, schob die Tür auf und betrat das Haus. Weiches freundliches Licht umfing ihn. Vor sich sah er einen Flur von dem wenige Türen abgingen und der auf der gegenüberliegenden Seite in eine Treppe mündete, die nach oben führte. Ein wenig wunderte er sich, dass er keine Treppe nach unten sah, war der Keller im Gespräch doch ausdrücklich erwähnt worden. Aber sicher würde sich dieses Rätsel noch lösen.

Das erste Zimmer, was er zu seiner Rechten betrat war eine Küche. Sie wirkte einladend mit ihrem großen Tisch in der Mitte, ringsum waren allerlei Schränke und Kücheneinrichtung gestellt und es gab zwei Fenster mit Gardinen. Der Raum wirkte sehr lebendig, als hätte ihn die Hausfrau nach dem Abwaschen gerade erst verlassen und wäre nur kurz die Zutaten für das Abendessen einkaufen. Es schien der Ort, wo die Familie sich traf, wo mit Bekannten geredet wurde und wo ein wichtiger Teil des Lebens abläuft.

Die Funktion der anderen Räume auf dieser Etage war teils weniger eindeutig. Es gab zwei Abstellkammern und ein altes Schlafzimmer, was fast schien, als wäre es vergessen worden. Die Dinge in den Abstellkammern dagegen wirkten neu und modern und waren zudem ordentlich aufgeräumt. Alles in allem schien die untere Etage des Hauses ein wenig verdreht und verschroben, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig existierend mit ihren Geheimnissen doch friedlich und willkommenheißend.

Langsam stieg er die Treppe hinauf. Schon dabei schien sich die Atmosphäre, die das Haus ausstrahlte zu verändern. Oben angekommen spürte er deutlich, dass er nun in einen Bereich eindrang, in dem nur oberflächlich die Dinge so waren, wie sie schienen, der seine kleinen Geheimnisse in die untere Etage ausgelagert hatte um kleine Geister von den großen abzulenken, die er verbarg. Keiner würde je hinter alle kommen, auch wenn ihm dieses Haus sehr lange gehörte. Dennoch war auch hier die Anwesenheit des eigentlichen Besitzers zu spüren, die wie ein zarter, monotoner Duft zwischen all den verschiedenen Aromen lag. Er hatte etwas beruhigendes, etwas, das daran erinnerte, dass es sich auch bei diesem Haus um ein Wohnobjekt handelte. Dennoch verriet er auch Wachsamkeit, das Wissen um die Besonderheit des eigenen Hauses mit all seinen Tücken und Verständnis für jene, die von diesen abgeschreckt wurden.

In dieser Etage war der Gang deutlich länger, und die rechts und links abgehenden Türen waren jeweils versetzt angeordnet. Einige Türen hatte Schilder, andere waren nur angelehnt oder ganz offen und wieder andere verschlossen.  Bei einigen fehlte  die Klinke oder sogar das ganze Schloss.  Am Ende des Ganges erkannte man im dämmrigen Licht erneut eine Treppe, die diesmal sowohl nach oben, als auch nach unten führte.

Der erste Raum auf der linken Seite, den er betrat und dessen Tür nur angelehnt war, war nur ein Durchgangszimmer zum nächsten Raum, dessen Tür verschlossen und ohne Klinke war. Es gab nicht viel mehr, als einen alten Kleiderschrank und mit dunklen Vorhängen verhangene Fenster. Licht drang durch die Tür zum Nachbarraum, merkwürdiges Licht, welches ein wenig an das freundliche Licht in der Küche erinnerte, allerdings fordernder war zu sich selber und zu anderen. Das Zimmer selber enthielt wie diese einen großen Tisch, welcher allerdings viel prachtvoller und einschüchternder war. Er stand im Kontrast zum Rest des Raumes, der völlig kahl und unmöbliert war. Der Tisch und die dazugehörigen Stühle waren die einzigen Gegenstände, die er enthielt. Nach außen hin hatte die Tür eine Klinke durch welche er wieder in den Gang zu gelangen glaubte.

Dem war jedoch nicht so. Stattdessen gelangte er in einen anderen deutlich kürzeren Gang dessen eine Seite aus Fenstern bestand in welche Milchglas eingelassen war,  sodass man nicht hinausschauen konnte. Auf der anderen Seite gab es noch zwei weitere Türen, welche von ihrer Form und Umgebung her symmetrisch waren. Er öffnete die erste und sah sich einem verwirrenden Gewirr von Spiegeln gegenüber, welche sich auch im inneren des Raumes fortzusetzen schienen. Da er diesen Raum lieber nicht betreten wollte, öffnete er auch die zweite Tür. Doch auch hinter dieser gab es nur Spiegel. Etwas sagte ihm, dass in diesem Gewirr eine Verbindung zwischen den Räumen war (vielleicht war es auch nur ein Raum) die ihn nicht weiter kommen lassen würde. Am Ende des Ganges standen in einer Ecke ein alter Besen und eine Leiter. Als er nach oben blickte, sah die Unterseite einer Falltür. Er stellte die Leiter auf, stieg hinauf und öffnete sie.

Sofort nahm er wieder den zarten Duft wahr, den er schon vorhin gerochen hatte und welcher hier viel intensiver war. Diese Intensität schien durch die anderen Aromen selber zu kommen, die an dieser Stelle versuchten, die Zartheit voll zur Entfaltung zu bringen. Es lies auch sie selber angenehmer und weniger verwirrend scheinen, so als könne diese Zartheit vieles mildern. Außerdem wurde deutlich, dass alles eine Einheit bildete, dass kein Aroma ohne das andere hätte sein können. Der Raum, den er nun betrat, war groß, hell und offensichtlich das Wohnzimmer. Es gab verschiedene, moderne Möbel, abstrakte Kunstwerke, die im Raum umherstanden, einige exotische Pflanzen und einen weißen Flügel. In einer Ecke stand außerdem ein Käfig mit einem Papagei, der, als er ihn anschaute, krächzte und laut: Ist Ullrich wieder in Papua Neuguinea? fragte. Er verneinte. Der Papagei krächzte wieder und schien sich damit zufrieden zu geben. Die Fenster mit den schweren Samtvorhängen boten einen wunderschönen Ausblick auf eine ruhige Landschaft mit Feldern, Wäldern und Seen, die man erahnen konnte. Der Raum hatte zwei Türen, von denen eine zu einem Essensaufzug gehörte und die andere wieder in den Gang führte, den er vorhin verlassen hatte.

Er drückte die Klinke der zweiten Tür von rechts herunter. Sie selber ließ sich nicht bewegen, jedoch sprang das Schloss der gegenüberliegenden Tür auf. Diese hatte ein Schild. Die abblätternde Farbe der Buchstaben selber bedeckte nur noch Fragmente dessen, was einst da gestanden hatte, doch war es immer noch klar lesbar, da das Holz ringsherum dunkler geworden war. Auf dem Schild der Tür stand: verbotener Raum.

Langsam schob er sie auf und betrat den dahinter befindlichen Flur. Die Luft hier war ruhig, warm, ein wenig betörend und hatte eine Note, der er bisher noch nicht begegnet war: Frische mit einem Hauch von verlangen. Langsam ging er ein Stück weiter und als er um eine Ecke bog, sah er vor sich die einzige Tür des Flures. Sie war offen und führte anscheinend nach draußen, doch war er im ersten Moment so sehr von der tief stehenden Sonne geblendet, dass er nichts klar erkennen konnte. Er trat hinaus und war umgeben von einem Meer an bunten Blumen jeglicher Art.

Verfasst von: faucone | 10. 1. 2010

Some (belated) resolutions for 2010

Get outside more often:
This summer I was as pale as never before. Not again!
Climb more and better:
V3 at MIT and 5.12 at Metrorock would be great, outside is great anyways; Osna was a little disastrous in this respect.
Cook more often:
New flat, own (to be) great kitchen, tasty stuff – what is there more to want?
Write more often:
This blog and my written English would really appreciate it.
Become efficient, hold to a schedule and differentiate between work time and time for me:
How else should I find time for all the other stuff?
Start working on things I want to work on in the future:
Really, someone has to model the human brain based on data sooner or later!
Find as great friends here as there were in Osna:
First steps made but I still miss you often.

Happy New Year everyone!

Verfasst von: faucone | 18. 6. 2009

Anfänge

Lässig saß er da, ein Bein angewinkelt, ein schmales Gesicht, ein ein weites, um ihn herum schlackerndes T-Shirt, eine zerrissene, dreckige Jeans, schmutzige, sehnige Arme die in knochige aber scheinbar nicht ungeschickte Hände übergingen, Füße in alte, fast durchgelaufenen Sandalen, und etwas auf dem Kopf, was man vor einer gewissen Zeit vielleicht ein Basecape hätte nennen können.

Einzeln müssen sie stehen, ganz für sich, allein, verlassen. Traurig. Denn ihr eigentliches Ziel ist die Gemeinschaft, ein großes ganzes, etwas allumfassendes. Dann sind sie glücklich und vor Freude fließen sie ineinander und umarmen sich, teils innig und verliebt.

Ich verändere mich. Ständig, täglich, minütlich, sekündlich. Meist sehe ich diese Veränderung als etwas Positives an, als Fortschritt, der notwendig ist, um weiter zu kommen.

Sie haben die oben erwähnte Patientenverfügung bei vollem Bewusstsein mit bestem Wissen und Gewissen persönlich ausgefüllt, und sind immer noch der Ansicht, das dies der richtige Weg ist? Ein stummes Nicken. Wann würde das endlich aufhören. Immer wieder Formulare, immer wieder die selben Fragen, nur die Leute änderten sich von Zeit zu Zeit.

Mein Leben ist ein Fluss von Ereignissen. Fröhliche Ereignisse, traurige Ereignisse, …

Die Gegenwart, der Augenblick. Sie ist es, was wir mit Realität bezeichnen. Es gibt etwas außerhalb von uns, das wir wahrnehmen, was auf uns wirkt

Einige Gefühle sind schwerer zu beschreiben, als andere. Ich habe gerade eines davon: ich bin ich selber. Und ich habe keine Ahnung, ob das nachvollziehbar ist.

Leise klopfte sie an die Tür und wartete eine Weile. Innen hörte sie Geräusche, die vermuten ließen, dass Dinge bedächtig zur Seite geräumt wurden.

Feuerrot versank die Sonne in den schäumenden Fluten. Der weiße Sand erglühte, bevor er endgültig in das einheitliche grau der Nacht überging. Schweigend sahen die beiden Männer dem Schauspiel zu, was sich ihnen von der Veranda ihrer Ferienhütte aus bot.

Sanft legte er seinen Arm um ihre Schulter. Sie schauderte. Langsam wandte sie ihren Kopf, um ihn anzuschauen. „Wie kannst du?“ Das Erstaunen, und die Angst, sich doch zu irren, schienen sie wie eine Wolke zu umgeben.

Langsam lief sie weiter wobei sie ihre Augen über das Wasser schweifen ließ. Der Fluss glitt ruhig dahin, ganz im Gegensatz zu ihren Gedanken, die aufgewirbelt waren und einander jagten oder von Strudeln eingesogen wurden.

Gemütlich kuschelte sie sich in die weiche Decke und hörte dem Regen zu.

„Sie wünschen?“  Er grinste breit.  „Das wissen Sie. Das Beste!“  „Selbstverständlich.  Sie sind mit dem anderen zufrieden?“ „Mehr als zufrieden, danke vielmals.“  „Das Beste… genau genommen gibt es das nur einmal. Sie wissen, dass man eigentlich nur eines besitzen darf?“  „Natürlich.“  Noch ein Grinsen.

„Guten Tag! Sind sie Herr Mayer? “ „Ja?“ „Freut mich, ich bin Frau Stöckel, die Organisatorin dieses Programmes. Von mir erhalten sie die ersten einführenden Informationen. Wie ich sehe, scheinen sie sich ja an die Vorgaben gehalten zu haben, das freut mich.“ „Was wäre, wenn das anders gewesen wäre?“
Ein wenig hatte er ja schon überlegt, ob die Vorgaben nicht etwas zu strikt waren und er sie heimlich doch nicht so streng sehen sollte. Aber er hatte sich dagegen entschieden und war bereits ein wenig stolz auf seine Entscheidung.

Verfasst von: faucone | 13. 5. 2009

Prüfungen

Leise klopfte sie an die Tür und wartete eine Weile. Innen hörte sie Geräusche, die vermuten ließen, dass Dinge bedächtig zur Seite geräumt wurden.
Herein?
Langsam öffnete sie die Tür.
Ihr habt mich rufen lassen, Meister?
Ja.
Mit der gewohnten Handbewegung wies er sie an, vor ihm nieder zu knien.
Ich habe einen Auftrag für dich.
Sie senkte den Kopf um ihre Aufmerksamkeit zu signalisieren und um zu zeigen, dass sie bereit war zu tun, was man ihr auftrug.
Du kennst die Uhr im höchsten Turmzimmer?
Wieder nickte sie.
Bring sie her!
Erstaunt sah sie auf.
Habe ich dir erlaubt aufzusehen?
Nein Meister.
Schnell senkte sie ihren Kopf.
Sehr gut so. Bring sie zu mir. Doch vorher öffnest du sie und legst an, was du in ihr findest. Hast du mich verstanden?
Ja Meister.
Gut. Du weißt, was deine Belohnung sein kann, wenn du dies bis Mitternacht schaffst. Und nun geh und enttäusche mich nicht!
Verwirrt erhob sie sich und verließ den Raum.

Was hatte das zu bedeuten? Seid sie hier war hatte sie unzählige Aufträge erfüllt, größere und kleinere. Jeder der hier lernte, tat dies. Im Grunde genommen, war es die Art, wie man hier lernte: man erledigte einen Auftrag für einen Meister und nachher bekam man etwas von dessen Wissen mitgeteilt. Die Reihenfolge mit der man die Meister durchlief war sehr genau festgelegt und für jeden gleich. Die Aufträge dagegen waren unterschiedlich. Sie wurden individuell vergeben, je nach Persönlichkeit, Wissensstand, Neugier und Reife des Schülers. Manchmal waren es kleine Tests, manchmal Dinge, die erledigt werden mussten; manchmal war offensichtlich was zu tun war, bei anderen ergab sich das erst mit der Ausführung. Auch die Schwierigkeit war verschieden, doch war es im allgemeinen so, dass sie mit zunehmendem Lernfortschritt ebenfalls zunahm. Wie gesagt, alle Aufträge waren verschieden bis auf zwei Ausnahmen: der erste und der letzte Auftrag. Den ersten Auftrag kannte natürlich jeder, doch der letzte Auftrag war ein gut gehütetes Geheimnis und nur den Meistern bekannt. Eine weitere Besonderheit war, dass diese beiden Aufträge von ein und dem selben Meister erteilt wurden, da der erste Meister auch der letzte war. Bei allen anderen Meistern lernte man nur einmal, doch dieser hatte die Ehre alle neuen Schüler einzuweisen und alle Absolventen der Schule zu verabschieden. Der erste Auftrag war einfach: man musste nur den Weg zum höchsten Turmzimmer finden und von der Uhr die aktuelle Zeit ablesen. Jeder neue Schüler nahm das sehr ernst, worüber immer wieder Witzeleien gemacht wurden. Denn die Zeit, die die Uhr zeigen würde, war für jeden Schüler gleich: sie zeigte genau null Uhr, wenn der Schüler Raum betrat. Wenn er dann mit dieser Information zu seinem Meister zurückkehren wurde, würde dieser ihm verbieten, von nun den Raum im Turm zu betreten bis er eine anders lautende Anweisung erhielt. Dies war die erste Lektion, die jeder neue Schüler lernte.
Es würde weitere Auftrage geben und weitere Lektionen, die bei diesem Meister aus dem Erlernen von Gehorsam bestanden. Die Schüler lernten, dass sie ihrem Meister immer und in jeder Situation zu gehorchen hatten. Teils waren diese Lehren nicht schmerzfrei und im Grunde war jeder froh, wenn er zum naschten Meister wechseln konnte. Denn noch verstanden sie nicht, was dies mit dem zu tun haben sollte, was sie hier eigentlich lernen wollten.

Bei diesen Gedanken und Erinnerungen musste sie lächeln. Nein, auch sie hatte damals nicht verstanden, wozu das gut sein sollte. Dennoch war sie eine fleißige Schülerin, die begierig neue Aufträge erledigte und sich von den anfänglichen Hürden nicht beirren ließ. Sie wollte lernen, was sie hier lernen konnte, und sie wusste, dass dies der beste Ort war, um es zu lernen. Inzwischen war sie auf der letzten Stufe ihrer Ausbildung angekommen und verstand, warum die ersten Lektionen ausgerechnet der höchste Meister erteilte und auch, warum dies auch die letzten Lektionen waren. Sie lehrten nicht viel anderes, als die ersten, nun aber im Kontext all dessen, was sie vorher gelernt hatte. Und nun die klare und deutliche Anweisung, das am ersten Tag erteilte Verbot zu brechen, mehr noch, die Uhr zu holen und die merkwürdige Anweisung das, was sich darin befand anzulegen. Was das zu bedeuten hatte, konnte sie wohl nur herausfinden, wenn sie der Anweisung Folge leistete. Unwillkürlich hatten sie ihre Füße schon sehr weit hinauf gebracht in diesem großen und unübersichtlichen Gebäude (dies war der Grund, warum auch die erste Anweisung stets eine Herausforderung für neue Schüler darstellte). Sie bog um die letzte Ecke und stand vor der Tür, durch die sie bisher nur einmal geschritten war.

Langsam öffnete sie diese und trat ein. Der Raum war in das warme Licht der untergehenden Sonne getaucht, bis Mitternacht war es noch geradezu lächerlich viel Zeit. Sie trat auf die Uhr zu und betrachtete sie. Erstaunlicherweise zeigte diese exakt fünf Minuten vor Mitternacht. Sie ging einmal um die Uhr herum um sie von allen Seiten zu bewundern. Dann trat sie vor sie und öffnete das Uhrglas. Innen war viel mehr Platz, als man von außen vermuten würde. Sie griff hinein und fühlte etwas Weiches, was sie langsam herausnahm. Es war ein Kleid. Nicht irgendein Kleid, nein, es war das Kleid, was nur die Absolventinnen dieser Akademie tragen durften, was all jene auszeichnete und schon von weitem sichtbar machte, die alles gelernt hatten, was man hier lernen konnte und dieses Wissen nun in der Welt anwendeten. Langsam faltete sie es auseinander und bemerkte gleich, das all die notwendigen Bänder fehlten, die das Kleid zusammen hielten. Man hatte ihr befohlen, es anzulegen und sie wusste sehr genau, wie sie das tun musste. Sie würde darunter vollkommen nackt sein. Also entkleidete sie sich langsam und streifte das unvollständige Gewandt über. Sie fühlte sich unbekleidet und verletzlich, da die Bänder, die sonst als nächstes angelegt würden, nicht vorhanden waren. Dennoch fühlte sie sich auch erhaben und stolz — es war klar, dass dies das Ende ihrer Ausbildung war, auch wenn das niemand vorher in irgend einer Weise angedeutet hatte. Doch auch das hatte sie hier gelernt und perfektioniert: die stille Sprache von Zeichen, Andeutungen und Symbolen. Sie befühlte den weichen, fließenden Stoff und bemerkte jetzt erst, dass sich in der einzigen Tasche ein Zettel befand. Sie nahm ihn heraus und las:

Suche nacheinander alle deiner Meister auf. Bei ihnen wirst du die fehlenden Bänder erhalten, wenn du würdig bist. Beginne mit dem zweiten Meister.

Nun war klar, was zu tun war so dass sie sich sofort auf den Weg machte.

Leise klopfte sie zum zweiten Mal an die Türe des letzten Meisters, inzwischen bis auf ein Band vollständig angekleidet. Es war das wichtigste Band, das das alles zusammen hielt und so verhüllte wie es sich für eine Trägerin dieses Gewandes fast immer ziemte.
Wieder musste sie warten und dachte noch einmal über ihre Prüfungen nach. Für sie waren sie nicht sehr schwer gewesen: sie musste jedem Meister vorführen, was sie bei ihm gelernt hatte. Da man die nächste Stufe erst erreichen konnte, wenn man das Gelernte auch wirklich beherrschte und auch danach immer wieder übte, war es mehr ein Ritual als eine wirkliche Prüfung gewesen. Jeder Meister hatte ihr am Ende für ihre Anwesenheit gedankt und ehrfürchtig dem Gewand sein Band hinzugefügt. Dennoch war es anstrengend gewesen, besonders, da sie zwischendurch keine Pause hatte. Es war kurz vor Mitternacht und sie war gespannt, was sie im letzten Raum erwarten würde.
Herrein erklang die ruhige, kühle Stimme des letzten Meisters.
Sie trat ein.

Der Raum war in warmes Licht von vielen Kerzen getaucht, was ihn völlig anders wirken ließ, als sie es gewohnt war. In der Mitte standen in einem Kreis alle Meister und schauten erwartend zu ihr herüber.
Komm näher.
Sie tat, wie ihr der Meister geheißen hatte bis sie direkt in der Mitte des Kreises stand der sich nun geschlossen hatte.
Du bist hier um das letzte Band auf deinem Weg zu erhalten. Die Prüfung, die dich hier erwartet, wird sich von allen vorangegangenen unterscheiden. Du wirst sie bestehen und danach keine Schülerin von uns mehr sein. Wir entlassen dich in die Welt und wünschen dir, dass du dort glücklich wirst. Solltest du irgendwann hierher zurückkehren, so nur als Meisterin und erst, wenn die viel mehr Erfahrung gesammelt hast als du bisher hast. Und nun lasst uns beginnen!
Sie wusste nicht wie, doch bei den letzten Worten des letzten Meisters löschten sich alle Kerzen. Viele Hände griffen scheinbar willkürlich und doch nach einem seltsamen Muster nach ihr. Einige hielten ihr Augen und Mund Nase zu, andere schienen sie anzuheben. Sie spürte, wie ihr das letzte Band angelegt wurde, doch nicht so, wie es üblich war, sondern so, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Sie wehrte sich nicht, ließ alles mit sich machen, doch mehr weil ihr keine andere Wahl blieb, als weil sie sich nicht wehren wollte. Dann wurde es schwarz.

Verfasst von: faucone | 2. 12. 2008

Tagesgedanken

  • Die Frage, die ich mit ja beantworten muss, ist nicht: Kann ich das Lernen? Die Frage ist: Lerne ich das?
  • Teekochen verlangt Aufmerksamkeit, Konzentration, Hingabe, Respekt und Liebe
  • Ordnung schafft Raum für neue Ideen
  • Lost and (hopefully) refound
  • 1.12. — der erste Adventskalenderoutput 🙂
  • Neue Erfahrung: Spaß an der Mechanik des Schreibens
  • Es gibt Dinge, von denen weiß man, dass sie geschehen werden, auch wenn sie bis zu ihrem Eintreten völlig unwahrscheinlich scheinen.
  • Plan für die nächste Woche: größere Achtsamkeit auf die gesunden Dinge des Lebens — Essen, Schlafen, Erholen, Glücklichsein
  • Stroke of insight hit me, after I thought about it for two hours and wrote three pages — why do I still need to formulate this damn text?

Mehr davon findet ihr übrigens hier.

Verfasst von: faucone | 11. 11. 2008

Bild

Verfasst von: faucone | 11. 9. 2008

Ich wäre gern mehr wie du!

Weil du Vorstellungen hast, die ich nicht habe, weil du Ziele hast, die ich nicht habe, weil du Wünsche hast, die ich nicht habe, weil du Dinge tust, die ich nicht tue, weil du Ideen hast, die ich nicht habe, weil du Dinge kannst, dich ich nicht kann, weil du Ideale hast, die ich nicht habe.

Dafür mag ich dich.

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