Verfasst von: faucone | 28. 4. 2011

L’oiseau

Wasser rinnt die Steine hinab. Langsam, aber unaufhaltsam. Tropfen für Tropfen, fast das ganze Jahr über, nur an einigen besonders heißen, trockenen Hochsommertagen ist es bis jetzt versiegt. Tage, deren Wärme hier nie spürbar wird. Am Boden sammelt es sich in einer Pfütze und auch diese ist manchmal größer, manchmal kleiner, selten jedoch ganz verschwunden. Das fahle Licht des sehr frühen Morgens spiegelt sich in dem Rinnsal an der Wand, ein kaum auszumachendes Schimmern, welches dennoch ausreicht auch das Moos und die kalten, grauschwarzen Steine zu erkennen, die die Wände, die Decke und den Fußboden aufbauen. Dieser ist glatter, ausgetretener als die rauen Wände, aber ebenfalls nicht eben. Der Raum ist rechteckig, drei ein halb mal fünf Schritte groß und hat eine alte, schwere, stets verschlossene Holztür deren Eisenhalterungen den Rost der Jahre tragen. Das an Kraft gewinnende Licht dringt durch eine hoch gelegene Öffnung an der Schmalseite gegenüber der Tür, die Gitterstäbe werfen immer deutlicher erkennbare, lange Schatten auf den Boden. In einer Ecke liegt ein wenig Stroh, kaum zwei Arme voll, und darauf ein Mann. Er schläft. Sein Atem geht ruhig, erkennbar an den sich gleichmäßig heben- und senkenden Stofffetzen, die er am Leib trägt. Seine Haare sind weiß, aber nicht erhaben weiß, wie die eines stolzen Alten, sondern grauweiß, dreckig und verfilzt. Auch das Gesicht ist schmutzig und tief gefurcht, und vom Kinn zum linken Ohr zieht sich die alte Narbe einer einst wohl tiefen Wunde, welche den Eindruck macht, sie würde noch immer jucken und ihrem Träger von Zeit zu Zeit einige Pein verursachen. Sie ist das momentan auffälligste Merkmal diese Gesichtes, die Nase ist eher gewöhnlich, und auch am Mund ist nichts Besonderes zu finden, bis auf die erkennbare Tatsache dass dieser seit Jahren nicht mehr gelächelt hat. Hätte der Mann allerdings die Augen geöffnet, so würde der Blick des Betrachters wohl schwanken. Denn diese sind von einem stählernen Eisgrau, und betrachten, egal wie müde der Besitzer auch sein mag, wach und scharf die Umgebung. Man könnte sich fast ein wenig vor ihrem Blick fürchten, wäre da nicht dieser ganz sanft vorhandene Unterton einer Mischung aus Güte, Weisheit und einer gewissen Heiterkeit, der von Zeit zu Zeit für meist nicht mehr, als einen Augenblick in ihnen aufblitzt, ganz so, als wollte sich dann ein Teil der eigentlichen Natur des Mannes ebenfalls in ihnen zeigen. Der Raum ist ansonsten fast kahl, nur in der Mitte findet sich noch etwas der Betrachtung wert erscheinendes, was von weitem wie ein einfacher Holzklotz wirkt. Sieht man näher hin, erkennt man feine, eingeritzte Linien, die ein Raster bilden, welches nicht ganz bis zum Rand reicht, sondern ebenfalls ein zu den Raumkanten paralleles Rechteck bildet, und so einen eigenen Raum im umgebenden Raum eingrenzt. Neben dem Klotz finden sich zwei runde, ebenfalls hölzerne Schalen, deren Deckel abgenommen sind und bei ihnen liegen. In den Schalen, in den Deckeln und neben und auf dem Holzklotz befinden sich Steine die nur scheinbar achtlos herumliegen, auf den Linien des Feldes aber offenbar bedeutsame, überlegte und sinnvolle Muster ergeben. Erkennbar ist, dass sie zu gleichen Teilen schwarz und weiß sind, und auch auf dem Klotz kein Übergewicht einer Seite auszumachen ist.

Plötzlich durchzieht ein flatterndes Geräusch die sonst nur durch den unaufhörlich wehenden Wind durchbrochene Stille. Es klingt in dem leeren Raum lauter, rauer und unmittelbarer als es das vermutlich an einem anderen Ort täte, und bewirkt, dass der schlafende Mann aufschreckt und seine trotz der erkennbaren Müdigkeit bemerkenswert klaren Augen den Raum durchwandern, wobei sie jedes Staubkorn zu durchdringen scheinen. Schnell haben sie den Verursacher des Geräusches gefunden. Ein Vogel hat sich durch die Gitterstäbe verirrt und flattert nun ziellos durch den für seine gewohnte Freiheit zu begrenzten Raum. Seine hastigen Flügelschläge wirbeln den Staub der langen Jahre auf, und streifen gelegentlich die Wände, seine Aufregung würde in dieser sonst so stillen Umgebung für Jahre ausreichen. Die Bahn seines Fluges zeichnet verworrene, imaginäre Figuren in die Luft, doch allmählich verlieren seine Bewegungen an Kraft. Das Flattern ist nicht mehr stetig, sondern unterbrochen durch immer länger werdende Pausen, denen verzweifelte Versuche folgen, seine letzte, im schwinden begriffene Kraft zu mobilisieren. Schließlich versiegt auch diese und seine Landung ist mehr ein zu Boden stürzen, welches genau in der Mitte des Raumes vom Holzklotz beendet wird. Er bleibt liegen.

Der Mann, der bis dahin reglos dagesessen hat, erhebt sich nun, langsam und etwas steif, wie einer, der ein und die selbe Bewegung schon ermüdend oft ausgeführt hat und dessen Zeit nicht begrenzt ist, sie jetzt in einer anderen Art und Weise auszuführen. Dennoch geht von seinem Körper eine unbestimmbare Kraft aus, die in seiner Umgebung spürbar wird, und die auch die schäbige Bekleidung nicht zu ersticken vermag. Vorsichtig geht er in Richtung der Mitte des Raumes, und ja näher diese kommt, desto langsamer bewegt er sich auf sie zu. Seine Lippen formen murmelnde Worte, doch bringt er keinen Laut hervor. Schließlich bleibt er stehen. Seine Augen fixieren das Federnbündel vor ihm auf dem Klotz, welches beim Aufkommen einen großen Teil der Steine verrückt, oder hinabgeworfen hat. Auch das haben die scharfen Augen bemerkt, und die Mundbewegungen werden härter und ärgerlicher, die Augen schärfer und kälter. Auf ihnen liegt nun ein Schatten, der mild freundliche Unterton hat seine regelmäßige Position im Gesicht des Mannes verlassen. Mit einer ruckartigen Bewegung nähert er sich dem Klotz vollständig, und beginnt die verstreuten Steine einzusammeln ohne den Vogel dabei anzublicken. Nachdem er alle am Boden liegenden aufgelesen hat, wendet er sich den oberen zu, auch hier angestrengt versuchend einen Blickkontakt zu vermeiden. Gerade als alle weißen vom Block verschwunden sind passiert es dennoch: er sieht auf die sich noch immer nicht rührende Silhouette des Tieres. Er stockt, bemerkt, dass sich seine Lippen bis jetzt bewegt haben, und stellt auch diese Bewegung ein. Seine unsteten Augen kommen auf dem Vogel zur Ruhe. Sie beginnen langsam seinen Körper abzutasten, weder freundlich noch böse, eine stete Bewegung die jedes Detail in sich aufnimmt. Sie beachtet die Federnfarbe ebenso wie die Form der Flügelspitzen, die scharfen Krallen ebenso wie die sanfte Wölbung des Brustbeines. Bei den Augen schließlich bleibt sie stehen. Lange Zeit versinken die eisgrauen des Mannes in den bersteinfarbenen des Vogels, als versuchten sie darin verborgene Geheimnisse zu finden, aber auch, als entdeckten sie darin eigene, lange verschwunden geglaubte Wahrheiten wieder. Das gelegentliche Aufblitzen kehrt wieder, gewinnt am Ende sogar zeitweilig die Oberhand, und verleiht dem Gesicht ein Strahlen welches sogar die harten, tief gefurchten Gesichtszüge erfasst, und diese glättet. Diesmal beginnen die Mundbewegungen ganz bewusst und begleitet von dem Versuch tatsächlich Laute zu produzieren, der im ersten Anlauf jedoch misslingt. Der Mann räuspert sich, und ein erneuter Versuch folgt. Jetzt gelingt es, es ist kein Wort, geschweige denn ein Satz, und dennoch: aus dem Mund des Mannes erklingt ein menschlicher Laut. Er wirkt wie eine Befreiung. Wieder erzeugt dieser einen Hall, und im gleichen Augenblick geht ein Zittern durch den bis dahin reglosen Vogelkörper. Ein Laut der Überraschung folgt. Ganz langsam und vorsichtig streckt sich eine Hand nach ihm aus. Wenige Millimeter bevor eine Berührung erfolgen muss stockt sie kurz, bevor sie auch diese Distanz überbrückt, und sanft über die Federn streift. Erneut ein Zittern, diesmal kräftiger, aber auch wiederwilliger und ängstlicher. Die Hand zieht sich zurück und bleibt ein Stück weit entfernt auf dem Klotz liegen, unschlüssig, ob sie das ganz tun soll, oder nicht. Schließlich unternimmt sie einen erneuten Versuch der Annäherung. Sobald die Berührung erfolgt, geht ein Ruck durch den Vogel, und ein Flügelschlag folgt der ihn aufrichtet. Schwach sitzt er am Rand des Klotzes, schwankend und doch darauf bedacht, eine möglichst große Distanz zwischen sich und die ruhende Hand zu bringen, welche die verschleierten Augen misstrauisch beäugen. Die Hand zieht sich wieder vorsichtig zurück. Auf dem Gesicht des Mannes bildet sich ein Stirnrunzeln, der eben noch mild durchscheinende Blick wird wieder klar. Ein letzter Versuch, die Hand nach dem Vogel auszustrecken führt dazu, dass dieser vom Klotz hüpft und sich flatternd in eine Ecke zurückzieht. Der Mann sammelt die restlichen schwarzen Steine ein, hält aber dabei von Zeit zu Zeit inne, und sieht sich nach dem Vogel um. Er setzt sich vor den Klotz, an die Seite, von der aus er die Ecke gut im Blick hat, und beginnt mit den Steinen ein bestimmtes Muster auf den Linien zu legen. Das Muster scheint ihm sehr bekannt zu sein, er muss kaum auf die Bewegungen seiner filigranen Hände achten, die wie in Trance über den Klotz zu schweben scheinen, und genau auf den Kreuzen der Linien Steine platzieren. Sein Blick huscht immer öfter in die Ecke, mal nachdenklich, dann wieder sicher, mild oder ärgerlich, ganz so, als hinge die Stimmung mit den Geschehnissen auf dem Block vor ihm zusammen. Als sich der Vogel leicht bewegt, zuckt auch der Mann zusammen, seine Hände geraten ins Stocken, und ein weißer Stein rutscht unbeabsichtigt durch seine Finger. Er landet genau auf einem Linienkreuz zwischen zwei schwarzen Steinen. Der Blick des Mannes beschreibt einen Bogen vom Vogel auf das Brett und wieder zurück. Schließlich blickt er erneut vor sich, legt die restlichen Steine in seinen Händen beiseite, und streckt die Hand nach dem weißen Stein aus. Wenige Millimeter vor der Berührung stockt er. Und zieht die Hand zurück.

Seine Augen sind von dem Geschehen auf dem Block gefesselt. Ewig dauernde Augenblicke sitzt er reglos da, angespannt und konzentriert, versunken, in eine Welt aus schwarzen und weißen Steinen, zu der die Mauern, der Raum, der Vogel und alles um ihn herum nicht gehören, und auch er selber scheint in dieser Welt eine andere Form zu haben, zu der sein Körper nur eine leere Hülle ist. Dann kehrt er zurück, und ein Strahlen entsteht auf seinem Gesicht, welches für einen winzigen Augenblick sogar von einem Lächeln begleitet ist. Sein Körper entspannt sich, und sein Blick wandert in die Ecke, in der der verschreckte Vogel noch immer sitzt. Lange bleiben seine Augen auf ihm ruhen, mit einem Blick der von der sonst so selten aufblitzenden Milde durchdrungen ist. Dann steht er auf, geht vorsichtig, und doch gewandt und zügig auf die Ecke zu. Der Vogel versucht zu fliehen, doch die einzige Richtung, die von dem Mann wegführt bringt ihn weiter in die Ecke, die nun zum Hindernis für ihn wird. Der Mann streckt die Hände aus, und packt den Vogel mit festem Griff. Dieser versucht sich zu befreien, mit den Flügeln zu schlagen, doch vergebens. Der Mann steht auf, und geht zu der der Tür gegenüberliegenden Seite des Raumes. Er streckt seine Arme weit nach oben, so dass er mit den Händen durch die Gitterstäbe langen kann.

Dann lässt er den Vogel los.


Antworten

  1. ein Geburtstagsgeschenk von 2008, original mit Rechtschreibfehlern und teils merkwürdigen Satzkonstruktionen


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